Sexlose Ehe / Sexlose Beziehung – Warum werden Beziehungen sexlos? Eine Geschichte aus dem Alltag und was die Forschung dazu sagt
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Als Lea Jonas kennenlernt, ist alles leicht. Es ist Frühling in Süddeutschland. Sie sitzen lange in Cafés, reden zu viel, lachen kaut zusammen und gehen oft zusammen spazieren. Nähe passiert einfach. Sex auch, oft und ohne große Planung.
Das ist kein Zufall. Biologisch und genetisch sind wir als Menschen dafür programmiert uns zu vermehren, daher der Drang grundsätzlich und bis ins hohe Alter Sex zu haben. Wenn wir single sind, verlieben wir uns ausschließlich in Menschen mit denen wir Sex haben wollen. Dieser genetische Drang der Fortpflanzung ist bei Männern und Frauen gleich, sonst würden wir schließlich als Spezies nicht funktionieren.
Am Anfang einer Beziehung schaltet das Gehirn daher auf Belohnung. Viel Dopamin. Viel Fokus auf den anderen. Forschende beschreiben diese Phase oft als “Honeymoon Phase”. In dieser Zeit ist Kinder kriegen biologisch vorprogrammiert, daher der viele Sex.
Im zweiten Jahr ziehen Lea und Jonas zusammen. Die Wohnung ist klein, aber sie fühlt sich nach Zukunft an. Und dann verändert sich etwas langsam etwas an der Beziehung. Die Abende sind plötzlich gleich, der Alltag übernimmt. Der Körper lernt: Das hier ist sicher. Und was sicher ist, ist oft weniger aufregend.
Biologisch hat das einen entscheidenden Vorteil: wenn man in den ersten 1-2 Jahren einer Beziehung Kinder zeugt, muss man sich danach auch um die Kinder kümmern. Ständig neue Kinder zu zeugen würde irgendwann zur Überlastung der Eltern führen. Das Zeugen von Kindern und das Großziehen von Kindern erfordert grundsätzlich unterschiedliche Fähigkeiten. Beziehungen werden ruhiger und fokussieren sich auf Sicherheit und Monogamie.
In Daten sieht man genau diese Veränderung. Eine große deutsche Langzeitstudie mit Paaren (pairfam) fand: Der Rückgang der Häufigkeit passiert relativ früh in der Beziehung. Nicht erst nach der Hochzeit. Nicht erst nach zehn Jahren. Sondern oft schon in den ersten beiden Jahren.
Lea merkt es zuerst als Gefühl. Sie denkt: “Wir sind doch glücklich. Warum will ich seltener?” Jonas merkt es als Lücke. Und dann passiert etwas Typisches. Einer fragt öfter, der andere weicht öfter aus. Das passiert nicht aus Bosheit oder Müdigkeit, sondern aus dem Gefühl: “Ich muss Sex haben, bekomme ihn aber nicht so oft wie ich möchte.”
In der Forschung gibt es dafür einen nüchternen Begriff: “Desire Discrepancy”. Das heißt nur: Zwei Menschen wollen unterschiedlich oft Sex. Das ist sehr häufig. Und es ist nicht automatisch ein Beziehungs-Urteil. Es wird erst dann gefährlich, wenn daraus ein Kampf wird.
Im dritten Jahr wird Lea befördert. Das heißt mehr Verantwortung, mehr Stress. Jonas arbeitet auch viel. Eine solche Konstellation ist kein Sonderfall. Viele Paare leben in einer Logik aus Terminen. Und Sex ist oder das erste, die verschoben wird, weil sie “nicht dringend” wirkt.
Wenn Lea abends ins Bett fällt, ist ihr Kopf noch im Büro. Ihr Körper ist zu, nicht offen. Stress drückt Lust oft runter. Und dann kommt noch etwas dazu: Das Handy liegt neben dem Bett. Die Aufmerksamkeit wird Instagram, Facebook oder reddit gewidmet. Echte Nähe braucht aber Aufmerksamkeit für einander.
Im vierten Jahr kommt der Kinderwunsch. Dann wird Lea schwanger. In dieser Phase verändert sich Sexualität oft wieder. Manche Paare haben mehr Sex. Manche weniger. Nach der Geburt wird aus “wir” erstmal “funktionieren”. Schlafmangel, körperliche Heilung, stillen und eine neue Rollenverteilung. Viele Studien zeigen: Sex und Lust sinken nach der Geburt häufig, und bei einigen dauert das länger als ein paar Wochen. Müdigkeit und Erschöpfung sind dabei zentrale Gründe.
Lea und Jonas sind liebevolle Eltern. Und trotzdem wird ihre Beziehung leiser. Der Alltag ist jetzt nicht nur Routine, er ist auch Verantwortung. Lea fühlt sich oft “voll”. Jonas fühlt sich oft “allein neben jemandem”. Das ist ein Satz, den man in Foren immer wieder liest. In Subreddits wie r/DeadBedrooms, r/marriage und r/beziehungen kreisen viele Geschichten um denselben Mechanismus: Wiederholte Zurückweisung kippt irgendwann in Frust. Und Frust kippt in Rückzug. Dann verschwindet nicht nur Sex, sondern auch Zärtlichkeit. Man fühlt sich nicht mehr gesehen, nicht mehr begehrt. Man fühlt sich minderwertig. Als Folge wird es dann häufig grundsätzlich: soll die Beziehung überhaupt noch weitergeführt werden?
Nach sechs Jahren sagen sie zum ersten Mal laut: “Wir sind irgendwie sexlos geworden.” Aber was heißt das überhaupt?
Es gibt keine perfekte Definition. In der deutschen GeSiD-Studie, einer großen repräsentativen Befragung zu Sexualität und Gesundheit, berichten Paare: Bei rund jedem fünften Paar lag der letzte Sex länger als vier Wochen zurück. Und der Anteil steigt mit dem Alter deutlich. In Japan wird “sexlos” in einer bekannten wiederkehrenden Umfrage sogar genau so definiert: kein Sex im letzten Monat. Dort lag der Anteil der als sexlos eingestuften Ehen in einer Erhebung bei knapp der Hälfte. Auch in Großbritannien zeigen große nationale Erhebungen, dass “kein Sex im letzten Monat” keineswegs selten ist.
Der Punkt ist: Sexlosigkeit ist nicht automatisch ein Skandal. Manche Paare sind damit zufrieden. Manche Menschen sind asexuell. Manche leben Nähe anders. Problematisch wird es dann, wenn mindestens eine Person leidet und beide nicht mehr darüber reden können.
Lea und Jonas reden nämlich irgendwann nicht mehr über Sex, sondern nur noch über das Fehlen von Sex. Das klingt ähnlich, ist aber etwas anderes. Es geht dann nicht mehr um Wunsch, sondern um Vorwurf. Und Vorwurf macht Lust fast immer kleiner.
In diesem Moment hilft selten ein “Trick”. Was hilft, ist Sprache. Forschende finden immer wieder: Gute sexuelle Kommunikation hängt mit höherer sexueller Zufriedenheit zusammen. Und sie kann das Gefühl von “wir passen nicht” oder “es passt nicht mehr” kleiner machen.
Lea macht schließlich etwas, das viele zu spät machen. Sie geht zum Arzt. Ein Teil der Wahrheit ist ihr Körper. Hormone, Schmerzen, Schlaf, Angst. Auch Medikamente und Verhütungsmittel können eine Rolle spielen. Bei Antidepressiva sind sexuelle Nebenwirkungen gut dokumentiert, und sie betreffen oft genau Lust und Erregung.
Jonas macht auch etwas. Er hört auf, jede Berührung als Einladung zu lesen. Er lernt, wieder zu küssen, ohne dass es “weitergehen muss”. Er ändert den Fokus von Sex auf Zärtlichkeit. Das nimmt Druck raus… und Druck ist der größte Lust-Killer in Langzeitbeziehungen.
Ein paar Monate später haben sie nicht plötzlich ein Feuerwerk. Aber sie haben wieder etwas Wichtigeres: ein System, das Nähe schützt. Ein Abend pro Woche ohne Handy. Ein kurzes Gespräch am Sonntag, in dem beide sagen dürfen, was ihnen fehlt, ohne dass es sofort gelöst werden muss. Und manchmal auch: professionelle Hilfe in Form von Paartherapie fokussiert auf Sexualtherapie. Sie sehen es als Wartung. Dabei lernen sie “der Appetit kommt oft beim essen”.
Und wenn trotz allem ein Wunsch offen bleibt? Dann gibt es in der Realität verschiedene Wege, solange beide zustimmen: Manche Paare finden neue Formen von Intimität. Manche etablieren Regeln und Routinen. Manche trennen sich, weil sie nicht, oder nicht mehr, sexuell kompatibel sind. Wenn die Beziehung sonst sehr gut funktioniert, kann eine Liebespuppe für den Ausgleich sorgen. Andere Menschen hingegen, gerade wenn sie alleine sind oder sich nach einer Trennung nicht mehr auf Dating einlassen wollen, suchen diskrete Formen von Nähe, die niemanden verletzen. Das kann ganz unterschiedlich aussehen.
Leas und Jonas’ gemeinsame Geschichte geht auf jeden Fall weiter, auch wenn eine perfekte Zahl davon nicht Teil ist. Sie können vor allem einen Satz wieder sagen: “Ich bin dir nah.” Und oft ist das der Anfang davon, dass Sex wieder möglich wird. Nicht als Pflicht. Sondern als Folge von Nähe.